«Die kleine Schar von Pädagogen des zu gründenden Bargte- heider Gymna- siums fing bei Null an»
«Unsere Therapie hieß: mehr arbeiten. Und gut arbeiten.»
«unser Gymnasium musste besser sein als zum Beispiel die benach- barten Hamburger Gesamt- schulen»
«Experten aus ganz Deutschland ...haben sich diesen einzig- artigen Schul- betrieb angesehen. So wurden wir berühmt und geachtet» |
Ob es noch jemanden gibt, der den Text aufbewahrt hat aus jener Nacht, den Text des Liedes vom "Schulschiff Bargteheide"? Das war auch etwas Besonderes - dass die pädagogische Arbeit in dem neugebauten Kreisgymnasium zu nächtlicher Stunde begann, ganz ohne Schüler; und mit einem Liedtext, den unsere Hella Diekow und unsere Gisela Stangenberg in Eile zusammengereimt hatten, und der nun fröhlich-übermütig geschmettert wurde zu der Studentenmelodie "Oh jerum-jerum-jerum, oh quae mutatio rerum"; geschmettert von wohl 15 im Kreis stehenden, sektglasschwingenden Lehrerinnen und Lehrern, unserem Urkollegium. Sie trugen dabei Abendkleid und Smoking, und ihr einziges Publikum waren ihre Ehepartner, sowie jene beiden begabten und geduldigen Architekten, die jenes Betonwunder in Eile geschaffen hatten: ein Schulgebäude im Stil der 70er Jahre, das nicht nur funktionierte, sondern auch noch ansprechend ausschaute! Mit unserer noch winzigen Lehrerschar feierten die Architekten - aus eigener Kasse! - in jener Nacht intern die Fertigstellung ihres Neubaus für uns. Wo hatte es so etwas schon einmal gegeben?
Das junge Lehrerkollegium war in seinem Kern aus einem Freundeskreis an der Stormarnschule Ahrensburg entstanden. Die Beteiligten – Alter um 40 und teilweise noch viel jünger - waren Pädagogen, die sich Gedanken gemacht hatten über Fehlentwicklungen und Misserfolge des deutschen Gymnasiums nach 1945.
1972 hatten sie allen Grund dazu. Hatten sie doch gerade vorher betroffen die Studenten- und Schülerrevolte miterlebt. Jung und doch erfahren genug waren sie, sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Die kleine Schar von Pädagogen des zu gründenden Bargteheider Gymnasiums fing bei Null an. 1971, viele Monate bevor der Unterricht dort aufgenommen wurde, trafen die Lehrer sich freiwillig in Privatwohnungen, um die neue Schule zu diskutieren und zu konzipieren, vom Bauplan bis zum Stundenplan. Alle hatten erlebt: eine moderne Schule, von der alle Lehrer um 13 Uhr nach Hause gehen, funktioniert nicht. Und eine Schule, die nicht funktioniert, macht alle krank; auch die Lehrer. Unsere Therapie hieß: mehr arbeiten. Und gut arbeiten.
Wir waren dazu bereit. Wir hatten begonnen, uns kompetent zu machen für ein zeitgemäße, funktionierende Schule. Unser Gymnasium sollte ein Angebot sein für möglichst jedes lernwillige und lernfähige Kind, einerlei, aus was für einem Elternhaus. Und unser Gymnasium musste besser sein als zum Beispiel die benachbarten Hamburger Gesamtschulen.
So mancher glückliche Umstand kam uns entgegen. Die Bildungsdiskussion war am Anfang der 70er Jahre in Westdeutschland in vollem Gange, und die betroffenen Politiker brauchten Erfolge. Uns engagierten Lehrern vor Ort wurde daher freie Hand gelassen, mehr freie Hand als je zuvor oder nachher.
Dass die freiwillig zusammengeströmten Lehrer mitreden durften, bevor ihre Schule überhaupt gebaut wurde, war neuartig. Dass die betroffenen Lehrer im Voraus mit den Architekten das gesamte Raumprogramm ihres Schulbaus auf dem Reißbrett mitbestimmen konnten - bis zur letzten Tür und Steckdose - verschaffte die Gewähr eines leistungsfähigen Schulbetriebs. Der Anstoß zu dieser Mitbestimmung war von unserem Hansjürgen Eck gekommen.
Leitstreifen an den Wänden wurden angebracht und führten zu den verschiedenen Sektionen der Schule. Alle Türen bekamen das entsprechende Farbsignal. Weitere Ideen kamen aus Lehrerfortbildungsveranstaltungen in Kiel und Hamburg. Und einzelne engagierte Kollegen begaben sich auf eigenen Kosten zur »Didakta-Ausstellung« nach Hannover, um uns die brauchbarsten Schulmöbel, Leinwände, Projektoren auszusuchen. Dadurch kam nach Bargteheide zum Beispiel die Idee der mobilen Abspielgeräte, die auf Service-Wagen in die Klassenräume zu schieben gingen. Das alle ist noch heute Praxis am Kreisgymnasium Bargteheide. Experten aus ganz Deutschland waren inzwischen bei uns zu Besuch und haben sich diesen einzigartigen Schulbetrieb angesehen. So wurden wir berühmt und geachtet.
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Es war aber nicht allein der materielle Aufwand, der unserem Kreisgymnasium den Erfolg verschaffte. Auf unser Betreiben zog mit den neuen Möbeln ein neuer Geist ein. Wo in unserer Zeit war es je geschehen, dass die Lehrer einer Schule sich in ihrer Freizeit zusammenfanden, um ihre pädagogische Arbeit gemeinsam zu gestalten? Hoffentlich hat jemand in unserem Sekretariat die Protokolle aufgehoben, die von den Jahren unserer Arbeit berichten:
- von den ersten Fachsitzungen mit lauter neuen Gesichtern aus vielen Gegenden Deutschlands, jungen Kollegen aus Saarbrücken und Frankfurt, die mit uns neue gymnasiale Pädagogik erproben wollten;
- von einem 2-tägigen Arbeitswochenende der Lehrer im Säume-Heim in Undeloh, Lüneburger Heide, an dem alle freiwillig und auf eigenen Kosten teilnahmen, um die interne Organisation ihrer neuen Schule zu beschließen; und die anschließende Wanderung zum Wilseder Berg machte uns für immer zu guten Kameraden;
- mögen auch Protokolle berichten von der unsäglichen Mühe, mit der wir zeitaufwändig Elterngespräche führten und Elternsprechtage organisierten, als es solche an anderen Schulen noch nicht gab;
- von unserem Beschluss, in alle Klassenenlternversammlungen mit allen Fachlehrern der Klasse gemeinsam hineinzugehen;
- von unserem Bestreben, alle Schüler und Eltern an der Gestaltung der Schulleitung und des Unterrichts zu beteiligen;
- möge es noch Protokolle geben von dem geschlossenen Bemühen der Klassenlehrer des 5. Schuljahres, alle Elternhäuser der neuen Sextaner persönlich zu besuchen - viele Jahre haben wir das durchgehalten!
- und möge noch irgendwo zu lesen sein von unserem erfolgreichen Kampf um die Abschaffung der Vorzensur für Schul- und Schülerzeitungen!
Das alles war nicht immer für jeden Lehrer leicht, denn jeder hatte daheim Familie; und die Bürden waren ungleich verteilt. Doch der Segen des großen Erfolgs hat uns für vieles entschädigt.
1974 war aus Süddeutschland die Lieferung eines großen Postens der bestellten Schulmöbel angesagt worden. Wer würde den LKW-Fahrern helfen, sie in unser Gebäude zu tragen? Freiwillig strömten nachmittags Lehrer in Räuberzivil herbei und trugen Tische und Schränke in die Räume. Direktor Eck, bekleidet mit Arbeitshose und einem bunten, offenen Hemd, packte selbst mit an. Nach getaner Arbeit fragte einer der Kraftfahrer: "Wo im Gebäude sitzt der leitende Herr, der uns den Lieferschein unterschreibt"? Schwitzend und mit aufgekrempelten Ärmeln antwortete Hansjürgen Eck: "Der Schulleiter bin ich". Ungläubige Entgegnung: "Was, Sie"? Ein Schuldirektor ohne Schlips und Kragen - das durfte damals doch nicht wahr sein!
Es gehörte zu den Eigenheiten des I. Kreisgymnasiums Bargteheide, dass dort Dinge geschahen, die ihrer Zeit offenbar voraus waren; Dinge, die inzwischen auch an anderen schleswig-holsteinischen Schulen selbstverständlich sind. Damals schüttelten manche auswärtigen Kollegen den Kopf und glaubten, uns schadenfroh den Misserfolg prophezeien zu müssen. Sie sollten Unrecht behalten. Heute feiern wir 20 Jahre modernes, erfolgreiches Gymnasium in unserer Stadt.
Dank sei allen Eltern, die uns dabei geholfen haben! An Bord des Schulschiffs Bargteheide!
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«... dass die Lehrer einer Schule sich in ihrer Freizeit zusammen- fanden, um ihre pädago- gische Arbeit gemeinsam zu gestalten?»
«Freiwillig strömten nach- mittags Lehrer in Räuber- zivil herbei und trugen Tische und Schränke in die Räume»
«Ein Schul- direktor ohne Schlips und Kragen - das durfte damals doch nicht wahr sein!»
«...dass dort Dinge geschahen, die ihrer Zeit offenbar voraus waren» |