«Kaum waren wir Bargte- heider Bürger, knatter- ten die Ketten- sägen und Press- lufthäm- mer!»
«Als Geldver- schwen- dung für einen "Gips- kopp" sollte der Ankauf der Emil-Nolde-Büste von Edwin Scharff verhin- dert werden»
«Führte bedin- gungs- loser Fort- schritt nicht ins Abseits seelen- loser Sied- lungen»
«Feuer- wehr und Männer- gesang waren nicht das, was den Bedürf- nissen nach Kunst und Kultur hinrei- chend ent- sprach» |
Als wir 1965 nach unserer Hochzeit in Hamburg eine Wohnung suchten, merkten wir sehr schnell, dass Bezahlbares kaum akzeptabel und Annehmbares kaum bezahlbar war. Wir waren daher gespannt auf einen Tipp, uns doch einmal eine Wohnung in Bargteheide anzusehen. Der Blick auf die Karte war ernüchternd: zu weit! Der Anblick des Dorfes dagegen war phantastisch: heile Idylle! Die Erdgeschosswohnung einer alten Villa mit großem Garten an einer Lindenallee gelegen gab dann den Ausschlag:
Wir ziehen um!
Kaum waren wir Bargteheider Bürger, knatterten die Kettensägen und Presslufthämmer! Die Linden in der Rathausstraße wurden gefällt, das Pflaster verbreitert und asphaltiert, der Bauboom begann. Ein Altbau nach dem anderen verschwand, Neubauten von ästhetischer Trostlosigkeit fingen an, das Ortsbild zu dominieren.
Großer Gott! Wohin waren wir geraten? Waren wir in einer Goldgräberstadt? Wie weit würde die Modernisierungsmaschine sich ausdehnen? Im Gemeinderat wurden Architektenvorstellungen von "großstädtischer Skyline" dargestellt. Ein späterer städtebaulicher Ideenwettbewerb ließ Schlimmes befürchten. Schon sammelte eine Wählergemeinschaft, die BBM, wo "Bargteheider Bürger Mitverantwortung" übernehmen wollten und die von maßgeblichen Kulturpersönlichkeiten der Gemeinde geleitet und unterstützt wurde, Unterschriften für den Abriss (!) des alten Gemeindehauses, des jetzigen Utspanns, weil nun ein Versammlungssaal im Mehrzweckraum der neuen Volksschule zur Verfügung sei. Als Geldverschwendung für einen "Gipskopp" sollte der Ankauf der Emil-Nolde-Büste von Edwin Scharff verhindert werden ... und so weiter und so fort ... Großer Gott, wo sollte das noch enden? Das Bild von der heilen Idylle war jedenfalls dahin.
Bargteheide wuchs unaufhörlich: Bevölkerung und Bautätigkeit, Wirtschaftsansiedlung und Infrastruktur zeigten überdurchschnittlich steile Aufwärtskurven. Der neue dynamische Bürgermeister, Jurist aus Kappeln, gerade mit seiner jungen, wachsenden Familie in das Rathaus eingezogen, lenkte geschickt die kleine verschlafene Gemeinde in eine prosperierende Zukunft.
Nur: Wo blieb die Kultur? Wachstum um jeden Preis schafft noch keine Lebensqualität. War die enorme Bautätigkeit nicht in absehbarer Zeit sogar schädlich? Führte bedingungsloser Fortschritt nicht ins Abseits seelenloser Siedlungen, denen wir ja gerade entgehen wollten? Schützen- und Sportverein, Feuerwehr und Männergesang waren nicht das, was den Bedürfnissen nach Kunst und Kultur hinreichend entsprach.
Das hatten sich auch 1952 schon Bargteheider Bürger gesagt, die trotz oder wegen der Wirren der Nachkriegszeit, der vielfältigen Schwierigkeiten mit dem Flüchtlingselend, der Wohnraumknappheit und all den täglichen Problemen fertig zu werden, Kultur als Nachholbedarf und Kompensation brauchten. Ärzte und Lehrer, Apotheker und Pfarrer, Juristen und Architekten hatten sich zur "Sektion Bargteheide der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft" zusammengeschlossen, um den Kontakt zu Bildung und Kultur nicht abreißen zu lassen oder neu zu knüpfen. Auch Realschüler und Gymnasiasten waren dabei, die in Ahrensburg oder Bad Oldesloe zur Schule gingen. Um diese manchmal etwas elitären Vorträge etwas aufzulockern, also auch Theater, Konzerte, Lesungen nach Bargteheide zu holen und nicht nur auf Radio, Fernsehen, Kino oder die Fahrten nach Hamburg und Lübeck engewiesen zu bleiben, wurde 1967 zu unserer großen Freude der Kulturring Bargteheide gegründet, der schnell einen festen Platz im Kulturangebot der Gemeinde eroberte.
Denn Wachstum ist ja nichts Abstraktes, das sich in Bautätigkeit alleine manifestiert, es kommen schließlich Menschen, meist solche, die beweglich sind, geistig interessiert, sich sogar engagieren wollen, wenn sinnvolle Angebote vorliegen.
Und wenn nicht? Dann muss man sie selbst ins Leben rufen und Anstöße geben, selbst die Institutionen auf den Weg bringen. So wurde der Ruf, eine eigene Realschule zu bauen, immer lauter und wurde, kaum dass die Emil-Nolde-Schule, als Grund- und Hauptschule eines der modernsten Schulgebäude in schleswig-Holstein, richtig eingeweiht war, schon 1968 in die Tat umgesetzt.
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So ging es in ungeahnter Weise weiter voran: 1969 entstand die Musikalische Früherziehung, weit und breit beispiellos, was Idee und Erfolg anbetrifft. 1970 folgte die Gründung der Volkshochschule unter dem Dach der Realschule, die Verschwisterung mit Deville les Rouen wurde beschlossen, und Bargteheide erhielt die Stadtrechte. Wenig später kamen in den siebziger Jahren der "Freundeskreis der Kirchenmusiken", das "Orchester Bargteheide", die "Theatergruppe des VVB" und der "Kunstkreis Bergteheide" hinzu.
Viele Bürger waren in Sorge, Bargteheide werde sich finanziell übernehmen: die z.T. noch nicht abgeschlossenen Baumaßnahmen im Sportzentrum, dem Freibad, dem Volkspark und der Marktplatzgestaltung waren ein zu gewaltiger Kraftakt, dessen Folgekosten noch nicht kalkulierbar waren. Die Notwendigkeit, jetzt auch noch Geld in ein Gymnasium zu stecken, hielten viele schlichtweg für Blödsinn.
Monatelang wurden Argumente für und gegen den ehrgeizigen Plan ausgetauscht, oft eine wörtliche Wiederholung dessen, was sich im Vorfeld des Realschulbaus abgespielt hatte: Was nützt uns das Ganze? Das kostet nur unser gutes Geld! Der Schuldenberg wird uns erdrücken. Unser Ort kriegt nie und nimmer so viele kluge Schüler für ein Gymnasium zusammen. Fazit: Överkandidelt. und drastisch: So' Schietkrom bruk wi nich!
Ich erinnere mich noch gut (und gerne) an eine der öffentlichen Sitzungen im Mehrzweckraum der ENS, bei der die Wogen wieder einmal ziemlich hoch gingen, obwohl die Planung des Schulzentrums mit Gymnasium schon im Frühjahr 1968 im Stormarner Tageblatt dargestellt worden war.Hinter mir saßen zwei junge Männer, die auf herzergreifende Weise halblaut mit bissigen Bemerkungen die vorn ablaufende Debatte kommentierten. Wenn ich die Namen richtig verstanden habe, mit denen sie sich anredeten, so muss der eine Klaus und der andere wohl Hansjürgen geheißen haben. Der sprachlich quirligere von beiden kam offenbar aus dem Bereich Südpreußen, und ih gestehe, dass diese erste Begegnung mit dem künftigen Schulleiter und seiunem Stellvertreter dazu beigetragen hat, mich so bald wie möglich in die Gestaltung und Detailplanung des Gymnasiums Bargteheide einzuschalten.
Da das Gymnasium von der Gemeinde Bargteheide, nicht dem Kreis, geplant und gebaut wurde, war mein Ansprechpartner der Bürgermeister, der natürlich an der Mitarbeit engagierter Bürger interessiert war und dem es gelang, sympathisch, doch durchaus hartnäckig, immer mehr Leute von der Richtigkeit dieses Vorhabens zu überzeugen: Das künfitge Gymnasium sollte nach seinen Vorstellungen, auch wenn es zunächst nur zweizügig verwirklicht werden konnte, eine moderne Schule werden, die nicht ohne Absicht den Traditionsschulen in Ahrensburg und Bad Oldesloe als pädagogische Alternative entgegengesetzt wurde.
Es braucht hier ncht über die 68er Umbrüche referiert zu werden. Es genügt, darauf zu verweisen, dass "meine" Theodor-Mommsen-Schüler ihre Kreisstadt Bad Oldesloe mit "bad, old and slow" zu übersetzen pflegten.
Tatsächlich hat sich Bargteheide in der Folgezeit zu einem alles in allem interessanten Unterzentrum entwickelt, weil und nicht obwohl überdurchschnittlich in bereiche inverstiert worden war, die Über-Lebens-Mittel künftiger Generationen darstellen, Kultur, Bildung und Schule.
Ergänzend teilte uns Helga Claussen, damalige "Bürgermeisterin" und vielfache Initiatorin und Anregerin an der Spitze unserer div. Elternvertretungen (SEB-Vorstand, AKESL, Elternbrief, Schulvereins-Vorsitzende über viele, viele Jahre, ... bis hin zu Lateinnachhilfe, Bücherei, Schulküche u.v.a.m) folgendes mit:
"... fiel mir in diesen Tagen ein Weihnachtswunsch an meinen Mann - damals Bürgermeister von Bargteheide - in die Hand, der vielleicht eine Veröffentlichung wert ist. Ende der 60er Jahre schrieb der Bargteheider Lehrer Treichel:
«Frohe Weihnachten wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie.
Der Entwurf für das neue Gymnasium und das gesamte Schulzentrum gefallen mir sehr. Unter Ihrer Regierung wurde der letzte Bauabschnitt der Volksschule fertiggestellt, wurde die Realschule erbaut und das Gymnasium geplant. Wenn Sie es auch noch vollenden, kann man von Ihnen sagen, wie vom Hauptmann zu Kapernaum, Evangelium Lukas 7, Verse 4 und 5. Mit den besten Wünschen für Sie und Ihre Familie, D. Treichel»
Lukas 7, 4 und 5 lautet: «Da sie aber zu Jesu kamen, baten sie ihn mit Fleiß und sprachen: Er ist es wert, dass Du ihm das erzeigest; denn er hat unser Volk lieb, und die Schule hat er uns erbaut.»
Man sieht, mit welchen Hoffnungen das Werden dieser Schule begleitet wurde"
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«Unser Ort kriegt nie und nimmer genü- gend kluge Schüler für ein Gymna- sium zusam- men»
«Fazit: Över- kandi- delt! Und dras- tisch: So'n Schiet- krom bruk wi nich!»
«Der sprach- lich quir- ligere von beiden kam offen- bar aus dem Bereich Süd-preus- sen»
«dass "meine" Theo- dor-Momm- sen-Schüler ihre Kreis- stadt Bad Oldes- loe mit "bad, old and slow" zu über- setzen pfleg- ten» |