Erbsensuppe
oder Seitenaspekte unserer Schule von einer Kunstlehrerin
von Sabine Krüger
(aus der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des KGB)

Wer den Weg aller seiner 5 Kinder über viele, viele Jahre durch unser Gymnasium verfolgt oder dies noch immer zu tun reichhaltige Gelegenheit hat, dem fällt schon als mit-leidender Mutter wahrlich genügend Stoff zu, der berichtenswert wäre.

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Und da fiel mir eben unser erster Mammut-Schulausflug 1977 ein. Unsere Schule war inzwischen ganz schön groß geworden (ca. 1.200 Schüler, ca. 80 Lehrer), eigentlich viel zu riesig für eine auswärtige Unternehmung. Aber beim ersten Mal hat man ja noch Mut und Elan...

Nach Schneverdingen in die Heide sollte es gehen - mit einem Sonderzug!
Da ich keine Klasse begleiten musste, konnte ich an dem Abenteuer unbefangen und gelöst teilnehmen. Zu dieser Zeit hatten wir zwei Kinder, und nur meine Tochter war am Gymnasium. Also zogen wir morgens los - ohne meinen Mann, der nicht mit konnte.
Es war ein herrlicher Sommersonntag. Das ganze Bahnhofsgelände war voll mit Schülern, die sich gegnseitig in Stimmung brachten, und Lehrern, die versuchten, ihre Leute zu zählen und sie in den für die bestimmten Wagen zu bringen.

Hier muss ich sagen, dass ich keinerlei Begabung zum Chronisten habe, weil ich mich grundsätzlich nur an Nebensächlichkeiten erinnere und mir der große Überblick eigentlich immer fehlt.

Also: irgendwie und irgendwann waren alle im Zug und dann ging's los, ganz gemütlich - bis zur nächsten Haltestelle. Da bekam eine allseits beliebte und eigentlich robuste Lehrerin Panik, wurde "ein wenig" hysterisch und wollte sofort wieder nach Hause. "Lasst mich hier raus! Ich halte das nicht durch!"
Sie konnte, wenn auch mühselig, beruhigt werden und man versuchte, im Zug eine ruhige Ecke zu finden, wo sie sich erholen und dem Tag etwas gelassener entgegensehen konnte. Im Zug war es natürlich gerade leise, wie eben eine Klassenfahrt mit 30 oder 40; aber die Reise verlief friedlich. Die düsteren Prognosen einiger Lehrer, die das absolute Chaos vorausgesagt hatten, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: Als wir in Schneverdingen ankamen, stiegen nach und nach - nach einem Plan, den wohl unser Stundenplanmacher aufgestellt hatte - alle Schüler und Lehrer aus.

Das ging so: Während die ersten Schüler in Zweierreihen schon das Bahnhofsgeländer verließen, waren die anderen noch im Abteil und wartetetn tatsächlich, bis sie ihr Zeichen bekamen auszusteigen. Es gab keinen Stau, keine Schiebereien, kein Drängeln - es funktionierte! Die kleinen Schüler fanden es selbstverständlich, sich zu zweit aufzustellen; die Mittelstufe fand es albern, machte aber mit, und die Oberstufe folgte, teils leicht gelangweilt, teils amüsiert.

Während der Kopf der Schlange schon im Ort war, wartete das Ende noch geduldig im Wagen. Soweit ich mich erinnere, wanderten wir auf einer breiten, mit Bäumen besetzten Straße, rechts und links Einfamilienhäuser. Die Frauen mussten ihre Kinder nicht vom Weg zerren, die gingen von selbst, und da vorn an der Straße selten Wäsche hängt, musste die auch nicht reingeholt werden. Aber es standen doch viele leute an den Zäunen und betrachteten und neugierig.
Fröhliches Winken, vorsichtiges Zurückwinken, vielleicht auch Fragen, "Wo soll's denn hingehen?" - ich weiß es nicht mehr so genau. Die Sonne schien, wir trabten voran, fühlten uns wohl und auch die Skeptiker unter Schülern und Betreuern wurden langsam lockerer. Man muss sich das einmal vorstellen: 1.200 Schüler und 80 Lehrer - was hätte da passieren können! Wenn so ein paar übermütige Knaben ausflippen würden und die anderen anstecken, wer könnte sie aufhalten?! Gottseidank kam keine Brücke, die wir durch Gleichschritt hätten ins Wanken bringen können. Und da die Gegend topfeben war, mussten keine Hänge und Anhöhen erklommen werden, und so würde auch niemand zusammenbrechen. Es war ja auch kein Laternenumzug - es gingen keine Lampions aus oder zu sehr an oder verursachten Staus!

Das pädagogische Konzept unseres Schulleiters (Prinzip der langen Leine) bewährte sich und war zum ersten Mal realiter zu sehen!

In gemessenem Tempo bewegte sich die Riesenschlange aus dem Ort hinaus zu unserem Ziel, einer großen Sporthalle mit weitem Geländer drumherum. Ein Sportplatz, auf dem Spiele und Wettbewerbe stattfinden sollten, umgeben von Gebüschgruppen, Wegen und wiesenartigen gebieten, bot reichlich Platz für alle; auch für die, die nicht unbedingt Fußball spielen oder sich wettlaufend betätigen wollten.

Was wir den ganzen Tag dort machten, weiß ich leider nicht mehr. Gegen Mittag jedenfalls fand das statt, was bei uns früher das Allerwichtigste vom Schulausflug war: das Essen. Wie eh und je hatten treusorgende Mütter ihren Kindern Pakete belegter Brote gemacht, Äpfel gewaschen und eingetütet und zur Vorsicht auch noch was zu trinken mitgegeben. Auch ich hatte für meiner0 Tochter und mich vorgesorgt. Imbissbuden und McDonald's gab's im weiten Umkreis nicht.

Wie man weiß, wird ein "Fest" durch ein gemeinsames Mahl gekrönt. Also wurden wir zur gegebenen Zeit in die Turnhalle gebeten, wo quer zu aufgestellten Tischen ein Tresen mit großen Töpfen aufgebaut war. Erbsensuppe.
Wieder stellten sich die Leutchen brav an und holten sich ihre Portion in Plastikschüsseln ab. Erbsensuppe mag ja nun nicht jeder (vielleicht an einem kalten Tag nach dem Knickputzen oder einer anderen sozialen Unternehmung), aber es war schönes Wetter und die Suppe war nicht nur dich, sondern auch ziemlich versalzen.

Zuerst Bemerkungen untereinander, dann Protest bei den Schülern und zuletzt mussten auch die Liebhaber kräftiger Hausmannskost zugeben, dass dieses Zeug ziemlich ungenießbar war! Lange Gesichter beim gastronomischen Personal, das uns gerne mit seiner Suppe satt und zufrieden gemacht hätte und das sich nun fragen musste, was mit der überreichlichen Restmenge geschehen sollte.

Einige tapfere Männer und Frauen, die die anderen zum Durchhalten animieren wollten, aßen tatsächlich ihr Schüsselchen leer; die anderen stellten das halb- oder ganzvolle Gefäß ab und verzogen sich enttäuscht nach draußen.

Wie wir hinterher unseren Durst stillten, ist mir entfallen - er muss beträchtlich gewesen sein - und ich weiß nicht, ob die Schulleitung oder der Partyservice auf einen derartigen Mehrbedarf eingestellt war. Vielleicht haben einige verdurastende Schüler sogar Wasser getrunken? Gott sei Dank konnten nicht wenige - wir auch - auf die eigenen Vorräte zurückgreifen, die sonst häufig abends matschig und zerdrückt von der Mutter aus dem Rucksack gezogen worden wären.

Und wie die Anbieter dieser gewiss nahrhaften Mahlzeit aus Hülsenfrüchten mit der Restmenge fertig geworden sind, haben wir nicht erfahren. Vielleicht wurde sie einfach - wie vor Jahren das verstrahlte Michpulver, Sie erinnern sich!? - bis zur Essbarkeit verdünnt, zwar nicht gar so lange durch die Gegend gefahren, aber den Gemeinden der näheren und weiteren Umgebung für Veranstaltungen wie Feuerwehr, Schützenfest oder Kirchenbasar zum Vorzugspreis angeboten. Aber das ist nur Spekulation.
Tatsache jedoch ist, dass diese Suppe nie bezahlt wurde. Herr Eck bewahrte das Geld dafür jahrelang im Schultresor auf und jedesmal, wenn in die Schule eingebrochen wurde ( das passierte leider mehrere Male), war die bange Frage: "Ist das Erbsensuppengeld noch da?". Zur Beruhigung: Es wurde nach der Verjährungsfrist einem guten Zweck zugeführt.

Am frühen Nachmittag betätigten sich Schüler und Lehrer auf dem Sportplatz mit unterhaltsamen Spielen. Ich hatte keine besonderen Aufgaben, auch keine Aufsicht zu übernehmen, die Sonne schien, und es war angenehm warm. Eine zuerst leichte, dann immer schwerer werdende Müdigkeit überkam mich und ließ mich an nichts anderes mehr denken als an Schlafen. Unauffällig schlenderte ich also durch die Gegend, um einen geeigneten Platz zu suchen, und fand tatsächlich ein etwas abschüssiges Gelände mit dicht verwachsenem Unterholz, direkt neben der Wiese, wo sich hunderte von Schülern tummelten.So etwas hatte mich noch nie gestört.
Also hinein ins Gebüsch, Boden absuchen, ob nicht vor mir jemand anders diese Stelle für andere Zwecke gebraucht hatte, dann die Jacke ausbreiten und bequeme Lage finden. Bald höre ich nur noch von weitem die Pfiffe der Schiedsrichter, anfeuernde Rufe oder auch einzelne Gesprächsfetzen, dann war ich eingeschlafen.

"He, kommt mal her, da liegt jemand!" "Das gibt's doch nicht!" "Doch, ganz bestimmt!" und da standen staunend eine Lehrerin und ein paar Schüler vor mir und waren erleichtert, dass ich am Leben und gesund war. So kurz meine "Auszeit" gedauert hatte, ich war ausgeruht und konnte den Unternehmungen der anderen wieder mit dem nötigen Interesse folgen.

Beim Durchlesen des bisher Geschriebenen fällt mir auf, dass ich mich ziemlich oft "nicht mehr erinnere". Es ist leider so.

Fand am Nachmittag eine Ehrung der Gewinner aus den einzelnen Wettbewerben statt? Gab es Urkunden oder sogar Preise? Hatte sogar ein "Workshop Chorsingen" einige Gesänge im Freien einstudiert und vorgetragen? Wurde ein Lob den Organisatoren dieses schönen Tages und der Schulleitung für die Planung und Gestaltung dieses einzigartigen "Betriebsausfluges" ausgebracht?

Der fledderige Mantel der Geschichte hat sich über diesen Tag gebreitet und lässt mich durch seine Löcher sehen. Und die sind leider an den unwichtigsten Stellen am größten, quam supra commemoravimus.
Jedenfalls kamen wir wohl alle ohne besondere Schwierigkeiten wieder zum Bahnhof, in den Zug hinein und in Bargteheide gesittet wieder heraus...

«...und lange schallt's im Walde noch
Gymnasium Bagdad lebe hoch!»






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